Aufdringliche Selbstdarstellung seit 1996

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Alexander
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... langfristig gesucht
"... mit mindestens 3 Jahren Arbeitserfahrung zu baldigstem Dienstantritt."Uninteressant.
"Reife Persönlichkeit mit Führungsqualitäten für Managementposition in der IT-Branche gesucht."
Reife Persönlichkeit? Ich? Überreif vielleicht, also uninteressant. Aber da:
"Spiritueller Charakter für anspruchsvolle Tätigkeit in Spitzenposition gesucht. Esoterik-Sektor, langfristig."
Na das hörte sich doch interessant an! Esoterik-Sektor klang nach Geld, Spitzenposition klang nach viel Geld und spiritueller Charakter, na ja, also, man ist ja lernfähig.
Adresse wurde notiert, ein Lebenslauf ausgedruckt und noch am selben Tag abgeschickt.
Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten. Um genauer zu sein: 10 Minuten nachdem ich den Bewerbungsbrief im Postkasten deponiert hatte, läutete auch schon ein Eilbote an meiner Türe. So weiß gewandet, daß jeder Waschmittelproduzent vor Neid erblassen würde, überreichte er mir mit einem unglaublich gütigen Gesichtsausdruck einen versiegelten Brief. Etwas irritierte mich an ihm, möglicherweise die Tatsache, daß seine Füße etwa 10 cm über dem Boden schwebten?
Ich verscheuchte den Gedanken und öffnete den Umschlag.
"Wir danken für Ihr Interesse ... blablabla ... viele Bewerber ... blablabla ... und laden Sie kommenden Montag zu einem informellen Bewerbungsgespräch in die Himmelpfortgasse 1 ein."
Ja! Der erste Schritt war geschafft, ich war in der engeren Auswahl.
3 Tage später, an besagtem Montag, zog ich mir meinen besten und einzigen Anzug an, duschte besonders ausgiebig und gönnte mir eine Extraportion 'Heaven & Hell' After Shave. Anschließend machte ich mich auf den Weg zum Vorstellungsgespräch.
Just in dem Moment, als ich am Eingangstor ankam, wurde mir bewusst, daß ich eigentlich noch nicht einmal wusste, bei WEM ich mich eigentlich vorstellen wollte. Die Einladung hatte außer der Adresse keinerlei Hinweise auf die Identität des Unternehmens geliefert. Wo sollte ich nun läuten?
Das Problem löste sich insofern von selbst, als die Eingangstüre einfach lautlos nach innen schwang, als ich gerade die Hausparteien an der Türglocke studieren wollte.
"Hm, sicher irgendein hypermodernes Überwachungssystem", schoss es mir durch den Kopf, als ich den Innenhof betrat. Doch nicht nur die Eingangstüre, sondern durch das ganze Gebäude hindurch öffneten sich Türen und wiesen mir den richtigen Weg bis ich schließlich im 7. Stock, Tür 666 angekommen war.
Ich betätigte den altmodischen Türklopfer in Form einer Schlange, die gerade einen Apfel verschlingt, und trat ein.
Ein heller, weißgestrichener Raum mit schwarzgekacheltem Fußboden und einem riesigen Panoramafenster, das den Blick auf den strahlendblauen Himmel preisgab, erwarteten mich.
"Als du das Gebäude betreten hast, hat es draußen geschüttet!", versuchte eine kleine Stimme aus meinen hinteren Hirnregionen meine Aufmerksamkeit zu erregen, doch ich ignorierte sie erfolgreich. Plötzliche Wetterumschwünge im März sind schließlich keine Seltenheit.
Die rechte Wandseite nahm ein etwas überdimensionierter Kachelofen ein. Davor ein Mann in Schwarz-rotem Gewand, der mit einem Dreizack Kohlen in den ohnehin schon gnadenlos überheizten Ofen schaufelte. In der Mitte des Raumes stand ein runder Glastisch, um den 3 chromblitzende Sessel positioniert waren.
Auf einem davon saß ein scheinbar sehr alter, bärtiger Mann mit schlohweißem Gewand und ebensolchen Haaren.
Als ich eintrat blickten beide zu mir auf und der Mann am Kamin begrüßte mich: "Ah, da sind Sie ja. Wir haben Sie bereits erwartet. Bitte nehmen Sie doch Platz."
Er verstaute den Dreizack und nahm ebenfalls am Tisch Platz, während ich versuchte, es mir auf dem Sessel so bequem wie möglich zu machen.
"Nun, dann wollen wir mal sehen", sagte er mehr zu sich selbst und schlug dabei meine Bewerbungsmappe auf. "25 Jahre, abgeschlossene Matura, Praktika bei diversesten Unternehmen, Atheist."
Atheist? Das hatte ich in meinen Lebenslauf geschrieben? Höchste Zeit, daß ich das Ding wieder überarbeitete!
"Sagen Sie, haben Sie Erfahrung mit der Erschaffung von Universen?"
Er sah mir direkt in die Augen.
Ich wollte gerade zu einer Antwort ansetzen, als die Frage erst richtig in mein Bewusstsein vordrang. Universen?! Das Zusammenspiel aus halbangefangener Antwort, langsam vordringender Gehirnprozesse und einem herunterklappenden Unterkiefer erzeugte ein undefinierbares Grunzen, das über meine Lippen kam.
Erst jetzt sah ich, daß er nur schwer ein breites Grinsen unterdrücken konnte.
"Entschuldigen Sie", setzte er an und konnte sein Lächeln nun kaum mehr verbergen, "das ist ein interner Witz zwischen uns. Ich konnte ihn mir wieder einmal einfach nicht verkneifen."
Ich bemerkte, daß auch der alte Mann leise in seinen Bart hineinlächelte. Mühsam schaffte ich es, mir ein etwas gequält wirkendes Lachen abzuringen, um nicht negativ aufzufallen.
"Sehen Sie", sagte der Mann in Schwarz und schlug meine Bewerbungsmappe wieder zu, "Ich will ehrlich zu Ihnen sein. Wir haben ein Problem. Mein ... Kompagnon und ich, wir führen unser Unternehmen schon ziemlich lange und auch sehr erfolgreich. Äußerst lange für diese Dimension, um genau zu sein."
Der Mann in Weiß nickte zustimmend.
"Und nach so langer Zeit treten nun mal gewisse Verschleißerscheinungen auf. Um es kurz zu machen: Mein Partner hat die Schnauze voll und würde gerne in Pension gehen. Und deshalb suchen wir einen Nachfolger."
Wieder ein zustimmendes Nicken.
"Zuerst haben wir überlegt, ob nicht ich auch sein Aufgabengebiet übernehmen könnte, aber nach einigen Feldversuchen sind wir übereingekommen, daß unsere Klientel ein wenig irritiert sein würde."
Der Gesichtsausdruck der Beiden verriet, daß sie offenbar gerade an die Gleiche, nicht gerade angenehme Erinnerung, dachten.
Ich merkte, daß irgendetwas meine Aufmerksamkeit immer wieder von den Ausführungen meines Gegenübers ablenkte. Ob es die stumpfen Hörner waren, die zwischen seinen pechschwarzen Haaren herausragten? Ich ignorierte den Gedanken und versuchte mich wieder auf das Gespräch zu konzentrieren.
"Das klingt alles hochinteressant", begann ich, "Doch mir ist noch nicht ganz klar, in welchem Bereich eigentlich mein Aufgabengebiet liegen würde."
Die beiden Männer tauschten einen fragenden Blick untereinander aus.
"Nun ja", ergriff der alte Mann in Weiß erstmals das Wort. Komischerweise nahm ich seine Worte gar nicht mit den Ohren wahr, sie schienen eher direkt in meinem Kopf zu pulsieren. "Sagen wir so, die schwierigsten Aufgaben sind eigentlich schon erledigt. Das Universum erschaffen und so was. Der Rest beschränkt sich eher auf gelegentliche Repräsentationsaufgaben. Alle heiligen Zeiten (im wahrsten Sinn des Wortes, wenn ich das hinzufügen darf) in der Wüste als brennender Dornbusch erscheinen, Meere teilen, Wunder wirken und dergleichen."
"Sie bekommen natürlich eine profunde Einschulung", fügte er schnell hinzu, als er meinen Gesichtsausdruck sah. "Außerdem kommt das dieser Tage auch nicht mehr sehr häufig vor."
"Hätte auch wenig Sinn", fügte der Mann in Schwarz hinzu. "Da lässt man ein Wunder wirken und was machen die Leute? Sie schieben es auf die Regierung und sagen, die hätten Halluzinogene ins Trinkwasser gegeben. Das schlägt sich ganz schön auf die Motivation, kann ich Ihnen sagen!"
Zustimmendes Nicken.
"Das heißt also", versuchte ich das Gehörte zusammenzufassen, "ich sitze hauptsächlich an meinem Arbeitsplatz und ..., äh, übrigens, wo wäre denn mein Arbeitsplatz?"
Wieder dieser bedeutungsschwangere Austausch von Blicken.
"Wegen des Arbeitsplatzes machen Sie sich mal keine Gedanken. Wir verfügen über hervorragende ... äh ... Verkehrsanbindungen."
"Glauben Sie mir", fügte der Mann in Weiß hinzu, "Die Dienstwohnung ist das reinste Paradies!"
Ein seliges Lächeln huschte über seine Lippen.
"Gut, also meine Aufgabe besteht darin, in der Dienstwohnung zu sitzen und zu repräsentieren, korrekt? Aber warum ich? Ich meine, das hört sich nicht sehr anspruchsvoll an, würde ich mal sagen. Da muss es doch massenhaft andere Bewerber geben, oder?"
Der Mann in Schwarz kratzte sich verlegen den Kopf. "Wissen Sie, wir haben in der Einladung an Sie ein wenig gelogen. Das war meinem Partner zwar nicht ganz recht, nachdem er damit gegen eines seiner fundamentalen Prinzipien verstoßen hat, aber wir sahen es als einzige Möglichkeit. Es gibt nämlich keine anderen Bewerber. Sie sind der Einzige, der sich gemeldet hat. Außerdem sind Sie Atheist, was die einzige Grundvoraussetzung für diesen Job darstellt, da wir sonst in ein logisches Dilemma schlittern würden."
"Wir müssten natürlich ein wenig an Ihrem äußeren Erscheinungsbild arbeiten.", fügte der alte Mann hinzu, "Der Stilbruch wäre ansonsten zu offensichtlich, das würde nicht gut ankommen bei unseren Jüngern. Jüngeren Mitgliedern, wollte ich sagen. Aber das sollte kein größeres Problem sein, ich verfüge über viel Erfahrung auf dem Gebiet der plastischen Chirurgie bei so ziemlich allen Spezies."
"Also, wie sieht es aus, hätten Sie Interesse? Würden Sie den Job übernehmen?"
Beide Männer blickten mich erwartungsvoll an.
Ich ließ das Gespräch gedanklich noch einmal an mir vorüberziehen. Dienstwohnung, verantwortungsvolle Führungsposition, Repräsentationsaufgaben, langfristig.
Zwei Augenpaare hingen an meinen Lippen, als ich nach einigen Sekunden zur Antwort ansetzte: "Und wie sind die Arbeitszeiten?"