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von
Alexander
Auer
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Die Kunst ein Künstler zu sein

Der Lehrer: „Nun, mein Sohn, machen wir Fortschritte?"
Der Schüler: Oh ja, Herr H. Ich schreibe gerade an einer neuen Geschichte."
Lehrer: „ Tatsächlich? Worum geht es denn dabei?"
Schüler: „Um das Leben. Die alltäglichen Probleme und Fragen, die sich jeder stellt."
Lehrer: „ Alltägliches? Jeder? Was genau?"
Schüler: „Dinge, die einem in den Sinn kommen, wenn man in der Straßenbahn sitzt. Oder vorm Fernseher. Wenn man gerade am Einschlafen ist oder über die man mit einem Freund im Kaffeehaus diskutiert."
Lehrer: „Aber, aber. So geht das doch nicht!"
Schüler: „Was geht so nicht?"
Lehrer: „Junger Freund, ich soll sie doch in der Kunst unterrichten, oder nicht?"
Schüler: „Ja schon, aber ...?"
Lehrer: „Es geht doch nicht an, daß ein Künstler sich mit dem Normalen, dem Alltag, befaßt. Das werden sie doch einsehen."
Schüler: „Was ist denn so schlimm am Alltag?"
Lehrer: „Der Alltag ist für alltägliche Menschen. Wir Künstler sind aber doch etwas anderes."
Schüler: „Sind wir?"
Lehrer: „Natürlich! Natürlich! Wir stehen über dem Alltag. Können von oben auf ihn herabblicken. Aber es wäre töricht, sich mit ihm zu befassen! Das würde uns doch auf eine Stufe mit dem gemeinen Volk stellen, nicht?"
Schüler: „Hm. Ich dachte immer, daß Kunst aus dem Leben kommen soll."
Lehrer: „Was für ein Trugschluß! Seien sie bloß vorsichtig mit solchen Äußerungen. Wenn sie an die falschen Ohren kommen, könnte das ihre Karriere ruinieren!"
Schüler: „Aber woher dann die Inhalte nehmen, für die Theaterstücke, die Bilder, die Musik und Literatur?"
Lehrer: „Wer spricht denn von Inhalt? Der ist gar nicht so wichtig. Den erfinden die Leute schon selbst. Wichtig ist es, den anderen stetig zu versichern, daß nur man selbst wahre Kunst produziert! Der Trick ist der, daß keiner als Kunstbanause dastehen will. Darum traut sich auch kaum einer, ihre Werke als ‘Nicht-Kunst’ zu definieren. Wenn, ja wenn, man vorher öffentlich und möglichst laut verkündet hat, daß die Werke unglaubliche Tiefe haben."
Schüler: „Sie meinen, Kunst ist, was man Kunst nennt?"
Lehrer: „So ungefähr, ja. Wichtig ist nur, daß man sich selber keine Blöße gibt. Künstler kann nämlich nur sein, wer Kunst auch zu erkennen vermag. Das ist manchmal nicht leicht. Man muß einer der ersten sein, der einen neuen Künstler lobpreist. Das stärkt die eigene Reputation. Aber dabei vermeiden, zu schnell ‘Kunst’ zu schreien. Wenn einem die liebe Kollegenschaft nämlich eins auswischen will, macht sie eine 180° Wende und redet von ‘Banalität’ und ‘schon dagewesen’ usw. Dann steht man ganz schön im Regen!"
Schüler: „Aber wie kann man Kunst dann erkennen?"
Lehrer: „ Da gibt’s ein paar ziemlich sichere Hinweise. Als Erstes entscheidet natürlich der Name des Künstlers. Wenn du den Namen schon mal in der Boulevardpresse gelesen hast, in möglichst abfälligen Artikeln natürlich, dann ist es sicher ein Künstler. Und dann das Werk. Wenn Musik Harmonien enthält, ist es Massenunterhaltung. Ein Buch, daß man ohne Fremdwörter-Lexikon versteht, ist banal. Bilder mit erkennbaren Formen sind Flohmarktware. Theaterstücke, in denen kein Sauschädel in den Saal geworfen wird, ja wo nicht einmal das Publikum beschimpft wird, sind reine Anbiederung an die Abonnenten. Achtung auch auf das, was die Leute im Kaffeehaus oder auf der Straße darüber reden. Gefällt es der Masse, dann darf man auf gar keinen Fall von Kunst sprechen."
Schüler: „Wofür ist Kunst denn dann überhaupt gut? Ich meine, wenn sie nicht gefallen darf?"
Lehrer: „Als Provokation natürlich. Kunst muß die Leute aus ihrem eingefahrenen Denken reißen! Die meisten glauben doch tatsächlich, daß sie ein glückliches Leben führen. Das können wir nicht zulassen, wir, die es besser wissen. Wir müssen den Menschen doch klarmachen, daß sie schuldig sind. Daß sie zum Unglücklichsein geboren sind."
Schüler: „Das verstehe ich nicht. An was sind die Menschen denn schuld?"
Lehrer: „Das ist ganz egal. Man findet immer irgend etwas. Die Hauptsache ist, daß die anderen schuld sind. Der Künstler aber, ist von jeder Schuld befreit. Schließlich ist er Ankläger, da kann er ja wohl schlecht auch gleichzeitig der Angeklagte sein, oder?"
Schüler: „Ich verstehe. Der Künstler ist ein besserer Mensch. Er ist glücklich und will den Menschen durch sein Vorbild zeigen, wie sie ebenfalls glücklicher leben können."
Lehrer: „Nein, nein, nein. Auf gar keinen Fall! Ja nicht glücklich sein als Künstler!"
Schüler: „Warum denn nicht? Ich dachte ..."
Lehrer: „Echte Künstler sind zutiefst unglücklich. Durch die Sinnlosigkeit des Daseins, die Schlechtigkeit der Menschheit, die Dummheit der Masse undundund. Man muß ständig zeigen, mit was für essentiellen Problemen man sich beschäftigt. Diese können von den anderen einfach nicht wahrgenommen, geschweige denn verstanden werden. Es ist übrigens sehr wichtig, diese Depression der Existenz durch seine Kleidung auszudrücken. Tiefes Schwarz empfiehlt sich, dunkle Grautöne werden gerade noch akzeptiert. Rollkragenpullover sind empfehlenswert."
Schüler: „Aber das ist ja schrecklich! Dann gibt es ja nichts schlimmeres, als Künstler zu sein!"
Lehrer: „Wie? Ach nein. Man verdient sehr gut dabei."

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