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von
Alexander
Auer
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Rot

Der Radiowecker riß mich um Punkt 7.00 Uhr aus meinen Träumen. Verschlafen blinzelte ich dem jungen Tag entgegen, der mich mit strahlender Morgensonne überraschend freundlich empfing. Ich gähnte geräuschvoll und rollte mich zur Bettkante, was meinem Kater, der bis dahin friedlich auf meinem Bauch geschlafen hatte, einen entrüsteten Maunzer entlockte. Frische Boxershort angezogen, T-Shirt, Hose, Socken. Benommen schlurfte ich in die Küche und setzte das Wasser auf dem Herd auf. Mit einem Teebeutel und einer Tasse in der Hand wartete ich auf das erlösende Singen der Kanne. Um mir die Zeit zu vertreiben, beobachtete ich durchs Küchenfenster die Leute am anderen Gehsteig. Um 7 Uhr beginnt die Stadt aufzuwachen. Die Menschen kriechen aus ihren Häusern und ein schwacher Duft von Kaffee mischt sich in die klare Morgenluft. Ich sah die alte Frau Nawratil von Gegenüber mit ihrem Rauhhaardackel den Bürgersteig entlangspazieren. Sie führte ihn jeden Tag um die selbe Zeit Gassi, einmal um 7 Uhr morgens und noch einmal um ½ 10 Uhr nachts. Er hob bei einem roten Mercedes das Bein. So geht’s den Kapitalisten. lächelte ich in mich hinein. Der Teekessel begann zu pfeifen und ich nahm ihn vom Herd. Nachdem ich das Wasser eingeschenkt hatte, setzte ich mich an den Tisch und schlug die Zeitung auf. Der Dampf des Tees vermischte sich mit dem Rauch der Morgenzigarette und stieg zur Decke empor. Nach zehn Minuten zeigte mir ein Blick auf die Küchenuhr, daß es Zeit war, mich auf den Weg zu machen. Ich zog mir eine Jacke über und verließ meine Wohnung. Als ich aus dem Haustor trat, sah ich einen Mann in einem dunklen Anzug, den roten Mercedes besteigen. Ich beobachtete ihn und plötzlich warf er mir einen kurzen Blick zu, schaute aber gleich wieder weg. Als er ausgeparkt und sich in den Verkehr eingeordnet hatte schob sich gleich ein roter BMW in die freigewordene Parklücke. Der Fahrer sah kurz zu mir herüber, blieb aber im Auto sitzen. Das machte mich stutzig. Konnte es sein, daß ich beobachtet wurde? Blödsinn! Wer sollte mich beobachten? Doch der Gedanke ließ mich nicht mehr los. Als ich in der Straßenbahn saß, merkte ich, daß heute ungewöhnlich viele rote Autos auf der Straße waren. Wenn eines bei einer roten Ampel neben der Straßenbahn stehen blieb, sah der Fahrer entweder kurz zu mir herauf oder er starrte verkrampft geradeaus und versuchte gelangweilt zu wirken. Immer mehr kam ich zu der Gewißheit, daß ich verfolgt würde. Aber wer hätte Interesse daran mich zu beobachten? Wer verwendete denn rote Autos? Natürlich, der KGB! Das mußte es sein. Aber was konnte der KGB denn nur von mir wollen? Den ganzen Tag zerbrach ich mir den Kopf. Ich ging in meinem Bürozimmer auf und ab, rauchte eine Zigarette nach der anderen und beobachtete die Straße von meinem Fenster aus. Bis zur Mittagspause fuhren 67 rote Autos vorbei, 5 parkten sich in der Nähe des Büros ein. Als mich eine junge Kollegin fragte, was mit mir los sei, ich sei so nervös, versuchte ich mich ihr anzuvertrauen. "Ist ihnen heute noch nichts aufgefallen?" fragte ich sie. Sie verneinte. Ich führte sie zum Fenster und fragte sie nochmals, ob ihr nichts auffalle. Natürlich mußte sie das rote Auto sehen, das gleich gegenüber im Halteverbot parkte. Sie aber verneinte, es sei doch alles ganz normal. Schon wollte ich sie auf meine Verfolger hinweisen, da durchfuhr es mich plötzlich: Was war, wenn sie auch zum KGB gehörte? Möglicherweise waren alle meine Kollegen in Wirklichkeit Geheimdienstleute. Hatten sie nicht schon öfters miteinander getuschelt, und plötzlich aufgehört, wenn ich das Zimmer betrat? Ich mußte vorsichtig sein, durfte niemandem vertrauen. Zu Mittag wollte ich zuerst nicht mit den Anderen Essen gehen, die Gefahr war zu groß, daß ich mich verraten könnte. Dann aber entschied ich mich dagegen, damit niemand Verdacht schöpfe. Also gingen wir gemeinsam in die Kantine. Alle versuchten so zu tun, als ob nichts sei, redeten belangloses Zeug, aber ich durchschaute sie. Nein, es gab keinen Zweifel mehr, es war eine Verschwörung im Gange. Eine ganz große Sache war am Laufen und ich war der Einzige, der es noch verhindern konnte. Sicher war schon der Rundfunk und alle Zeitungen von Geheimdienstleuten besetzt. Wahrscheinlich sendeten sie geheime Botschaften, um mich zu beeinflussen. Aber bei mir würden sie das nicht schaffen, bei mir nicht! Als ich zu Hause war, verschloß ich die Türe dreimal und hängte die Sicherheitskette ein. Wahrscheinlich hatten sie schon einen Nachschlüssel und durchsuchten meine Wohnung, wenn ich nicht da war. Ich ging wieder zum Küchenfenster, um mehr über meine Verfolger zu erfahren. Ein rotes Auto hielt gegenüber und ein Zeitungskolporteur in einer roten Jacke steckte dem Fahrer ein Tagesblatt durchs Fenster zu. Natürlich, sie hatten wohl schon gemerkt, daß ich von ihren Verfolgerautos wußte. Jetzt hatten sie diesen, als Zeitungsverkäufer getarnten, Agenten gleich neben der Straßenbahnhaltestelle gegenüber von meiner Wohnung postiert, um mich zu beobachten. Und er übergab den Anderen mit den Zeitungen seine Berichte. Meine Gegner waren raffiniert, ich mußte auf alles vorbereitet sein. Ich schob einen Kasten vor die Türe, damit ich auch in der Nacht, während ich schlief, vor ihnen sicher war. Drei Tage lang hielt ich mich in der Wohnung versteckt. Ein paar Mal läutete das Telefon, aber ich nahm nicht ab. Sicherlich sandten sie Signale über die Leitung, um mich einer Gehirnwäsche zu unterziehen. Ich war der letzte, den sie noch nicht bezwungen hatten.
Doch jetzt bin ich bereit. Ich habe mir eine Pistole besorgt. 150 Schuß Munition. Der als Kolporteur verkleidete Agent steht noch immer bei der Haltestelle. Wahrscheinlich ist das ihr Chef. Aber ihr habt einen Fehler gemacht. Ihr hättet mich nicht unterschätzen sollen! Jetzt zeig ich’s euch.

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