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von
Alexander
Auer
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Abschiedsbrief

An meine Eltern, Freunde und Bekannte,


Dies ist wohl die letzte Nachricht die ihr von mir hört. Obwohl mein eigentliches Selbst, oder was ich dafür halte, es noch nicht weiß, werde ich in 13 sek. bei einem Autounfall ums Leben kommen. Zu eurer Beruhigung möchte ich sagen, daß ich sofort tot bin ohne große Schmerzen zu erleiden. Genickbruch. Schnell und sicher. Eigentlich bin ich gar nicht so traurig darüber, daß ich tot bin. Irgendwie habe ich ja schon jahrelang versucht mich umzubringen. Langsam, mit Zigaretten und Alkohol, wobei ich zweiteres wegen Nichtvertragens aufgeben mußte. Der Unfall kam auch für mich überraschend. Kaum siehst du den anderen auf dich zurasen, schon bist du tot. Die Zigarettenindustrie hat einen weiteren hoffnungsvollen Selbstmörder durch Tod verloren. Tragisch.
Im großen und ganzen kann ich von meinem Leben behaupten, daß es wert war gelebt zu werden. Das liegt vielleicht an meiner Einstellung. Viele meiner Freunde behaupten ich wäre ein unverbesserlicher Optimist. Vor allem die, die ich als unverbesserliche Pessimisten einstufen würde. Man muß wissen, daß alles auf dieser Erde eine gute und eine schlechte Seite hat. Je größer die eine ist, desto größer ist auch die andere. Jetzt muß man sich nur noch die gute auswählen. Im Nachhinein, bereue ich kaum Dinge die ich getan habe. Alles was ich zuerst negativ gesehen habe, hat sich irgendwann als positiv herausgestellt. Das was ich wirklich bereue sind die Dinge, die ich nicht getan habe. Komisch, wir alle leben jahrelang dahin mit unseren Träumen und reden uns ein, wir würden sie alle einmal in Erfüllung gehen lassen. Aber wenn es soweit ist, kneifen wir. "Aber beim nächsten mal ..." Famous last words. Glaubt mir, es gibt meistens kein nächstes Mal. Das Leben ist nicht fair, wenn du deine Chance verpasst, hast du Pech gehabt. Und ich glaube ich habe mittlerweile alle erforderlichen Qualifikationen erworben, um das behaupten zu können. Ich habe mir oft vorgestellt, wie ich am Totenbett auf mein Leben zurückblicken würde. Netter Ansatz, nur dachte ich dabei an einen greisen alten Mann, der auf ein erfülltes Dasein zurückblicken kann. So, der greise alte Mann ist 21 und kann nur auf Halbfertiges zurückschauen. Das was ich mir zugleich zugute halten kann und dabei auch vorwerfen muß, ist, daß ich es versucht habe. Was? Ganz einfach, das Beste aus meinem Leben zu machen. Gut, wer versucht das nicht und hier beginnt auch gleich mein Vorwurf. Ich habe zwar hart daran gearbeitet, mir Wünsche und Ideale zu schaffen, doch ich war nie so dahinter, daß ich sie auch verwirklichen konnte. Seht ihr den Unterschied? Träume haben kann jeder, das unterscheidet dich nicht vom Rest der Welt. Erst wenn du sie erfüllst, bist du aus deiner Schale geschlüpft und hast deine Ketten abgeworfen. "Aber das nächste Mal ..." Ich bin über das ´Morgen´ gestolpert. Ich wollte der Welt immer etwas von mir hinterlassen. Irgendwas, das irgendjemand mit mir verbindet. Ein Buch, ein Foto, ein Lied oder auch nur einen Gedanken. Das ist eins der Dinge die ich nie geschafft habe. Ich habe einige Werke geschaffen, von denen man sagen würde: "Ganz nett". Aber das war mir zuwenig. Ich wollte etwas schaffen, was voll und ganz `Ich´ sein sollte. Etwas mit Seele, das ein Abbild von meiner Seele sein sollte. Ein Lied wie ´Freebird´ von Lynyrd Skynyrd oder ´Changes´ von Ozzy Osbourne. Oder ein Buch wie von Borchert, Hesse oder Bukowski. Etwas, daß so tief aus dem inneren kommt, daß man es immer und immer wieder spürt. Vielleicht hätte ich es irgendwann einmal geschafft und manchmal hatte ich sogar das Gefühl auf dem richtigen Weg zu sein. Jetzt, so wie die Dinge liegen, werde ich wohl spätestens in 70 Jahren, wenn alle meine Freunde tot sind, von der Welt vergessen werden. Bis dahin lebe ich wenigstens hier und da in einem Gedanken an mich weiter. Gott, das klingt alles so deprimierend. Dabei hatte ich eigentlich nie Angst vor dem Tod. Ich wußte, daß ich irgendwann sterben würde, ich hätte nur nicht gedacht, daß es schon so früh passiert. Ob ich dann etwas anders gemacht hätte? Wahrscheinlich, aber das kann ich jetzt leicht sagen. Wir wissen doch alle, daß wir irgendwann einmal sterben müssen, ob nach 70 oder 20 Jahren, sollte doch eigentlich keinen Unterschied machen, sollte man meinen. Wir vertrödeln unsere Zeit und wundern uns, wenn sie vorbei ist. Träume haben ein Ablaufdatum !! Wir leben hier und jetzt, das berühmte ´Morgen´ gibt es vielleicht gar nicht. Ich kann mich nicht einmal beklagen, daß ich nicht alle Chancen gehabt hätte. Ich hatte alle Chancen, die man sich vorstellen kann und es war allein meine Schuld, daß ich sie nicht genutzt habe. Wenn man seine heimliche Liebe in der U-Bahn trifft, sich vom Sehen kennt und sogar ein Gesprächsthema parat hat, wären das nicht ideale Bedingungen um einen Traum in Erfüllung gehen zu lassen? Wenn man aber den harten Mann spielt und so tut als hätte man sie nicht bemerkt, ist man wohl selber schuld. Und es gibt meist keine zweite Chance, das Leben ist kein Film! Das ist Feigheit vor dem eigenen Glück. Selbst wenn alles schiefgegangen wäre, müßte ich mir jetzt nicht den Vorwurf machen, es nicht einmal versucht zu haben. Und das ist es eigentlich, was weh tut. Ich hab mir fest vorgenommen gehabt, die nächste Gelegenheit nicht ungenutzt verstreichen zu lassen und jetzt bin ich tot. Pech? Schicksal ?? Das war nicht das einzige, was ich im nachhinein gerne ändern würde. Ich habe irgendwo einmal einen gescheiten Satz gelesen: "Erst wenn jemand tot ist, weiß man, was man ihm immer schon hätte sagen sollen." Wie wahr, wie wahr. Und auch umgekehrt anwendbar. Erst wenn du tot bist, weißt du, was du alles verpasst hast. "Nie sich so anpassen, daß dir alles paßt, was man dir verpasst. Sonst verpasst du Alles." (Seethaler). Schön gesagt, doch zwischen Gedanken und Taten besteht ein himmelweiter Unterschied. Versteht mich jetzt nicht falsch, ich trete nicht für puren Egoismus ein. Denn wenn du nicht auch auf die Wünsche deiner Mitmenschen Rücksicht nimmst, wirst du nie glücklich werden, sondern höchstens ein Leben als Außenseiter führen. Aber glaube auch ja nicht an die wahre Liebe, Altruismus oder einen Gott, der dir alles in den Schoß legt, damit du zufrieden bist. Du mußt für dich selbst herausfinden, was für dich richtig ist, und das jeden Tag aufs Neue. Sonst geht es dir wie mir. Glaub mir, das Wissen, etwas nicht versucht zu haben ist schlimmer, als beim Versuch zu scheitern. ´Was wäre gewesen, wenn ...´ Einen Groschen für jedes Mal, wo eine einzige Person sich das denkt und ich wäre Millionär. Gewesen.
Ich will euch keine Moralvorlesung halten. Ich vertrat schon immer den Standpunkt, daß jeder sein eigenes Leben leben muß. Was für den einen richtig ist, muß nicht für den Rest der Welt auch richtig sein. Aber es ist hier und da ganz gut, ein Resümee zu ziehen. Stell dir vor dieser Tag ist dein letzter, wärst zufrieden mit deinem Leben? Und wenn es sich herausstellt, daß es doch nicht dein letzter war, dann hast du möglicherweise wirklich noch eine Chance, die eine oder andere Sache zu verwirklichen.

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