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Aufdringliche Selbstdarstellung seit 1996
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von
Alexander
Auer
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Hast Du?

"Heast, tschuldige, hast Du a poar Schilling für mi?"
Ja!
Jaaaaaaaaa!!!
Drei Tage lang musste ich auf diesen Moment warten. Mein Rückgrat strafft sich, auf meinem Gesicht zeichnet sich ein breites Lächeln ab.
"Natürlich, gern. Jederzeit!"
Mein Gegenüber scheint verwirrt. Offenbar ist er andere Reaktionen auf seine Frage gewohnt.
Drei Tage. Drei Tage lang hat mich, ganz entgegen meiner sonstigen Erfahrungen, niemand angeschnorrt. Nicht eine einzige Menschenseele. Nicht bei der U-Bahn Station, nicht vor der Uni, nicht einmal vor dem Obdachlosenasyl, vor dem ich 50 Minuten auf und ab gegegangen bin. Niemand.
Ich zücke meine Geldbörse und finde einen Zwanziger.
"Äh, ähm. Danke!"
"Wart, ich hab noch Kleingeld."
Ich leere meine Hosentasche und fische nochmal etwa 20 Schilling heraus. Der Obdachlose weiß sichtlich nicht, was er von mir halten soll.
Aber die 40 Schilling sind es mir wert. Genauso wie die 300 für den Friseur vor drei Tagen. Zusammen ergibt das genau ein neues Leben. So gesehen bin ich verdammt billig weggekommen.
"Willst Du vielleicht eine Zigarette?", frage ich hoffnungsvoll.
"Ähm, naja, schon gern", antwortet er und kratzt sich verlegen den grauen Bart.
"Kannst das Packerl haben", sage ich und halte ihm die Schachtel hin "Es sind eh nur noch 9 drinnen."
"Na dann ...", sagt er und verlagert sein Gewicht von einem Fuß auf den anderen.
Endlich. Es ist mir schon so abgegegangen. Ich habe schon befürchtet, die Zeiten wären endgültig vorbei.
Für immer.
Abgestempelt ein 'Sie' zu sein. Verdammt zur Seriosität. Krawatten, Anzüge, Mercedes.
Glückliche Ehe, Kinder, Haus im Grünen.
20 Jahre lang den gleichen Job.
Alt werden.
Alt sein.
Ich habe alles getan, um diesem 'Sie' zu entkommen. Neue Kleidung, neue Lokale, neuer Haarschnitt. Und dann drei Tage quälendes Warten auf das erlösende 'Du'. Das Wort der Jugend. Ausdruck des Lebendig-Seins.
Ich trete einen Schritt näher und lege einen Arm auf seine Schulter.
"Danke", sage ich und blicke ihm fest in die Augen.
"Aber bitte", sagt er einen Schritt zurückweichend "Gern geschehen."

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